Kundentermin. Erstes persönliches Kennenlernen. Es geht um Unterstützung bei einem IT-Thema. Der Anbieter ist vorbereitet. Das Thema bekannt, Fragen notiert, Parallelen erforscht und Vorschläge vorab diskutiert. Subba! Der Vertriebler stellt Termin ein und organisiert, Spezialisten und Vorstand sind eingepackt. Auf zum Zug, Kaffee, Kunde, Meetingraum – #HandshakeSmileLosGeht’s.
Der charismatische Vertriebler in seinem Element. Tür auf, “Hallo, guten Tag, schön dass wir da sind. Wir haben uns ja heute zur Überschrift xyz getroffen. Ich stell mal nur kurz unsere Firma vor. Ich mach es aber kurz, wir wollen ja beim Thema bleiben.” – Toll denk ich mir, inzwischen arbeitet man im Vertrieb auch moderner. Keine halbe Stunde Monolog. Nur kurz die Firma vorstellen. Dann direkt zum Thema.
20 Minuten später. Die Jahre 1993 bis 2001 der Firmengeschichte sind inzwischen “kurz” abgerissen. Es bleiben noch 40 Minuten. Mein nervöses Gebären auf dem Besprechungsstuhl ist anscheinend so nervig, dass der freundliche Kollege aus unserem Vertrieb immer wieder den Faden verliert. “Aber lassen wir das mit der Vorstellung.” (leicht entnervter Blick zu mir) “Nur noch kurz unsere sonstigen Angebote – vielleicht fällt Ihnen ja etwas dazu ein.” Keine Widerworte bei den potentiellen Kunden. Weiter geht’s im Text.
Ein Blick in die Runde reicht aus, um den Hintergrund zu erforschen. Eine Mischung aus Forscherdrang und Staunen steht den lieben Herrschaften ins Gesicht geschrieben. Lapidar ausgedrückt frei nach dem Motto: “Wat will denn der Typ von uns?”
Vor dem geistigen Auge sehe ich, wie der Kollege aus dem Vertrieb den Bauchladen ausfährt. So einen richtig schönen mit mehreren Fächern und doppeltem Boden für die Spezial-Super-Dinge, die sonst keiner sehen darf. “Wir können auch …” und “für andere war in diesem Zusammenhang auch … interessant.” Eine Hommage an Ad-Sense Funktionen, wie ich sie aus dem Internet kenne (z.B. diese Katzenfutter-Werbung, die einen ewig als Ad auf allen möglichen Seiten verfolgt, nur weil man einmal ein Katzenvideo angesehen hat). Die Reaktion war dementsprechend…
Das anfängliche freundliche Nicken ist einem meditativen Zustand gewichen. Andernorts würde in solch einer Situation die Entscheidung fallen, alle lebenserhaltenen Maßnahmen abzuschalten.
Frefelhaft unterbreche ich mit dem Einwurf: “Ich platze bald, wenn wir nicht auf das Thema zu sprechen kommen. Das ist super interessant.”
Ich möchte nicht behaupten, dass das der Startschuss zu einer einwandfreien Zusammenarbeit war. Aber allein an den Messgrößen: Schlafende Teilnehmer, lange Gesichter und abwesendes Vor-sich-hin-sinnieren war dieser Punkt eine Kehrtwende. Wir kamen in den Dialog.
- Schilderung des Problems durch den Kunden
- Vergleich mit unseren Ausarbeitungen.
- Sonstige Themen, die mit dem Eingangsthema in Verbindung stehen.
- Erste Lösungsvorschläge. Erste Ansätze.
=> Tolles Gespräch. Guter Eindruck. Alle Interessierten haben etwas gelernt. Raus aus dem Firmengelände, Zug, Ergebnisse nachbesprochen (der Vertriebler ist gleich nach Abfahrt des Zuges eingenickt).
Die Gedanken, die mich seither beschäftigen, sind:
- Warum werden Vertriebsgespräche heute noch so “klassisch” (Firmengeschichte, Lebenslauf… Ladentheke) abgehalten?
- Wo ist hier die Innovation des Vertriebskonzeptes an sich geblieben?
- Im Internet taucht jeden Tag eine neue Idee auf. Im realen Leben läuft es aber noch so ab wie vor 10 Jahren?
- Geht es euch auch so?
- Warum tun sich Unternehmen so schwer, etwas mehr Idee, Unterstützung oder auch mal gegensätzliche Meinungen in einem “Vertriebsgespräch” beizutragen?
- Ist der Inhalt eines Vertriebsgespräches in Stein gemeißelt?
- Gibt es da überhaupt neue Methoden für den persönlichen Vertrieb?
Ganz offensiv möchte ich hier behaupten, dass es (nach dem oben beschriebenen Modell) keinen alleinigen Vertriebs-“Experten” mehr geben sollte. Entweder liefere ich Lösungen im Sinne einer Maßanfertigung, bzw. individueller Beratung oder biete ein standardisiertes Produkt an. Wie steht es da um eure Erfahrungen? Ist das eine Ausnahme? Jammere ich auf zu hohem Niveau? Wie macht ihr das?
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Robert
Ich bin der festen Überzeugung, dass ein guter Vertriebsmitarbeiter durch nichts zu ersetzen ist! Ich meine das nicht primär auf den Deckungsbeitrag bezogen, sondern allgemein.
Ich habe großen Respekt vor allen Kollegen, die es schaffen, eine Kundenbeziehung von Anfang bis Ende im Griff zu haben und diese zu gestalten. Es sind andere Fähigkeiten notwendig als die eines Pre-Sales-Consultant. Um nur mal einige Stichwörter zu nennen: Kaltakquise, Identifikation der Machtverhältnisse im Unternehmen und des Entscheiders, Abschlussorientierung, Upsell, Kontinuität und Hartnäckigkeit
Es kommt natürlich drauf an, was ich wie verkaufe. Eine Organisation mit Bauchladen braucht einen anderen Vertrieb als eine Organisation mit einer konkreten Dienstleistung – ganz klar.
Da ich täglich den Spagat zwischen Vertrieb, Pre- und Post-Sales-Consulting lebe, ist das meine Erkenntnis aus den letzten fast 9 Jahren. Nichtsdestotrotz kommt mir die geschilderte Situation sehr bekannt vor und ich halte auch nichts davon. Der Kunde muss reden und der Vertriebler muss das Gespräch durch gute Fragen steuern.
Robert
PS: Letztens wurde ich am Ende eines Vertriebstermins explizit aufgefordert über die Firma zu sprechen. Dabei hatte ich das so galant vermieden 😉
Daniel (@d_reinold)
Hallo Robert,
vielen Dank für Deinen interessanten Beitrag.
Einige Teile haben mich etwas nachdenklich gestimmt. Insbesondere: […]”Die Identifikation der Machtverhältnisse im Unternehmen und des Entscheiders, Abschlussorientierung, Upsell” […] Um ehrlich zu sein, habe ich daran schlichtweg nicht gedacht. Genau das macht mich auch stutzig und nachdenklich. Seit Deinem Beitrag bis heute bin ich mir nicht sicher, ob mir (und das mag sehr speziell sein) diese Punkte in dieser Situation helfen würden – oder ob ich ohne diese Gedanken am ersten gemeinsamen Termin eine “unbeflecktere” Einstellung und damit vielleicht eine frischere Ansicht beisteuern kann.
Dagegen vertrete ich weiterhin die Meinung, dass auch eine Organisation mit Bauchladen eben diesen auch anforderungsgerecht präsentieren kann. Angepasst an Situation und Anforderung des Kunden (z.B. mit speziellen Ausprägungen, Teilaspekten, Konfigurationen…). Wobei ich Deinen Beitrag nicht so verstehe, dass Du einen Bauchladen-Vertrieb unterstützt 🙂
In weiteren Teilen stimme ich Dir tendenziell zu. Ein guter Vertriebsmitarbeiter ist durch nichts zu ersetzen. Allerdings sollte “der Rest” daneben ebenfalls vorhanden sein und zusammenarbeiten. Wie bei Dir in Personalunion. Ergänzen möchte ich, dass dies aus meiner Sicht nicht zwingend ein Vollzeit-Vertriebsmitarbeiter sein muss. Wie sehr würde ich mir wünschen, dass diese mehr die Seite des Ingenieurs, des Consultants… aktiv begleiten würde. Vielleicht etwas einseitig geprägt und provokant: “Um zu wissen, wie eigentlich beim Kunden gearbeitet wird.”
Das eigentliche Gespür, wie ich es aus Deinen Zeilen entnehme, ist hier wahrscheinlich der größte gemeinsame Nenner. Die Situation richtig zu erkennen, einzuschätzen und die “richtige Kassette” einzulegen ist aus meiner Sicht das wesentliche Element neben der entsprechenden Vor- und Nachbereitung.
Ich glaube, ich werde bei Gelegenheit Deinen Podcasts auf different-thinking.de lauschen. Vielleicht kann ich die verschiedenen Ansätze darin besser erkennen, abgrenzen und neue Methoden kennen lernen.
Nochmals Danke! Ich freue mich auf weitere Beiträge von Dir und gerne auch weiteren Mitgrüblern.
Daniel